Würzburg. „So etwas wie Gleusdorf kann nicht passieren, wenn das Frühwarnsystem funktioniert“, und dieses Frühwarnsystem ist für Deutschlands bekanntesten Pflegekritiker Claus Fussek nicht die Fachaufsicht, sondern „die Angehörigen, die amtlichen Betreuer und das Pflegepersonal“. Auf Einladung der fränkischen Freie-Wähler MdLs Dr. Hans Jürgen Fahn und Dr. Peter Bauer war Fussek zu einer Diskussionsveranstaltung in Würzburg, die auf großes Echo stieß. Viele Fachkräfte aus der Pflege, aber auch Angehörige füllten den Saal und trugen auch zu einer angeregten Diskussion bei.
Die beiden Abgeordneten machten deutlich, dass sie die Notwendigkeit einer grundlegenden Pflegereform sehen, denn „wenn wir jetzt handeln, wird das zwar schmerzlich, aber wenn wir nicht handeln, wird es katastrophal“, erklärte Peter Bauer. „ Pflege geht uns alle an. Deshalb ist das Thema Pflege eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, so Bauer und Fahn übereinstimmend. Leider seien die Freien Wähler mit vielen Anträgen bisher im Landtag gescheitert, „weil man mit diesem Thema keine Wahlen gewinnt“, so Bauer. Dabei müsse gar nicht unbedingt mehr Geld ins System, sondern „die Versicherungsfremden Leistungen müssen raus aus der Sozialversicherung“. Leistungen, für die keine Beiträge in die Systeme geflossen sind, müssten aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden, forderte der Mediziner Bauer ganz klar.
Hans-Jürgen Fahn bezeichnete es als Staatsversagen, dass es bisher nicht gelungen sei, die Pflegeberufe zu stärken, dafür gäbe es rund 100.000 illegal in der Pflege Beschäftigte in Bayern. Er forderte zum einen eine Sympathie-Kampagne, aber auch eine Eindämmung der überbordenden Bürokratie. Fast wichtiger als eine bessere Bezahlung seien bessere Arbeitsbedingungen, denn vor allem wegen ständiger Überlastung ist der Pflegeberuf einer derer mit der kürzesten Verweildauer. Schon sieben Jahre nach Ende der Ausbildung ist ein großer Teil der Fachkräfte nicht mehr in der Pflege beschäftigt.
Und diese stumme Verabschiedung möchte Claus Fussek unter anderem beenden. Er forderte die Pflegekräfte auf, ihre Macht auch endlich zu nutzen, um die Gesamtsituation zu verbessern. „Ich bringe Ihre Hilferufe an die Öffentlichkeit“ erklärte er vor allem zu dem oft erhobenen Vorwurf, er würde die Pflegekräfte in Misskredit bringen. Das sei so nicht richtig, erklärte er. Er sehe sich zwar ausschließlich als Anwalt der Pflegebedürftigen, doch das schließe automatisch die Pflegekräfte ein. Gute Pflege sei nämlich nur dort gewährleistet, wo auch das Pflegepersonal gute Rahmenbedingungen findet. Gute Arbeit finde in den meisten Pflegeheimen statt, erklärte er. Wenn man vom Pflegenotstand rede, dann rede man immer von Ausnahmen, stellte sich Fussek gegen Pauschalurteile. Besonders extreme Fälle wie Gleusdorf kämen dann in die Schlagzeilen, doch vieles gehe auch im Stillen vor sich.
Grundsätzlich liege es an der Leitung, ob eine Pflegeeinrichtung gute Arbeit leistet. Es gehe aber auch nicht an, dass Familien sich ganz zurückziehen. Die Angehörigen seien die wichtigsten Entscheider über die Pflegequalität. „Gehen Sie unangemeldet in die Heime, über die Sie sich informieren wollen“, forderte Fussek die Angehörigen wie die Politiker auf. In einem gut geführten Heim sei der Koch eine der wichtigsten Funktionen, es gebe keine starren Bettzeiten, es herrsche Leben. Das müsse Angehörigen auffallen, wenn sie Heime besuchen. Knallhart unterscheidet er aber auch zwischen „Angehörigen und Erben“.
Natürlich stelle die Politik die Rahmenbedingungen, erklärte Fussek, aber „Gesetze pflegen keine Menschen, es braucht genügend Personal. Die Verantwortlichen sind die Heimträger und niemand anderes“. Gute Heime seien mit der jeweiligen Kommune vernetzt, hätten Helferkreise, die mit den Bewohnern spazieren gehen, singen, basteln, wenn das die Angehörigen nicht leisten können. Zunehmend hätten Pflegebedürftige auch gar keine Angehörigen mehr. „Aber gute Pflege spricht sich herum“, der Pflege-TÜV sei da eine weniger geeignete Orientierung. Zwingend notwendig sei ein größeres Netz von Tagespflegeeinrichtungen in jeder Kommune, um die pflegenden Angehörigen zu entlasten. Hier sei jede Stadt, jede Gemeinde in der Pflicht.
Das alles sei natürlich nicht zum Nulltarif zu haben. Er selbst sei seit sieben Jahren pflegender Angehöriger „und wir verpflegen gerade das Haus meiner Eltern“. Allerdings seien gute Heime auch nicht zwangsläufig teurer als schlechte. Auf den Preis der Pflege zu schauen, um das Erbe zu schonen, sei ebenso kaltblütig wie die Diskussion darüber, die viele Minuten es dauern darf, einem alten Menschen das Essen einzugeben. Für die Freien Wähler ist es klar, dass die Rahmenbedingungen unbedingt geändert werden müssen. Um dies umsetzen zu können, brauchen wir eine starke Stimme, zum Beispiel eine Pflegekammer.
In der Diskussion machte Dr. Peter Rost (UWG, dritter Bürgermeister von Randersacker) , von Beruf Hausarzt deutlich, dass in der Region Würzburg die überwiegende Zahl der Pflegeheime gut sei, aber sie benötigten eine bessere gesetzliche Grundlage. Belegt wurde aber auch die vorher aufgestellte Behauptung Fusseks, dass immer zuerst das gute Personal geht. Mehrere Teilnehmerinnen der Veranstaltungen erklärten nämlich, dass sie die Arbeitsbedingungen in bestimmten Einrichtungen nicht mehr ertrugen. Weil sie ihren Beruf aber gerne tun, hätten sie sich mit Pflegediensten selbstständig gemacht. Wie wichtig es ist, dass sich die Fachkräfte solidarisieren, zeigte auch die Schilderung eines jungen Mannes, der schon als Pflegeschüler mit einem zweiten Schüler komplette Nachtwachen für fast 100 Bewohner übernehmen musste und in der Folge krank wurde.
Viele wichtige Informationen nahmen die beiden Abgeordneten Dr.Bauer und Dr.Fahn mit für ihre künftige Arbeit auf diesem Politikfeld, doch sie erneuerten zum Abschluss nochmals ihre Aufforderung, dass die Betroffenen selbst ebenfalls aufgefordert seien, für ihre berechtigten Anliegen zu kämpfen.
Deutschlands bekanntesten Pflegekritiker Claus Fussek hatten die beiden FW-Landtagsabgeordneten Dr. Hans-Jürgen Fahn und Dr. Peter Bauer zu einer Diskussionsveranstaltung nach Würzburg eingeladen, die auf großes Interesse stieß.