Rede 98 – Bekämpfung der Altersarmut

Aktuelle Zahlen der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2017 beweisen eindrucksvoll, was es für Menschen bedeutet, unterhalb der offiziellen Armutsgrenze zu leben:

Rund 53 % dieser Haushalte können sich keinen einwöchigen Urlaub leisten. Rund 32 % leiden in ihren Wohnungen, sofern vorhanden, unter Lärm aus der Umgebung, 21 % haben Feuchtigkeit oder Fäulnis in der Wohnung, 15,4 % – das sind die Zahlen in Zeiten der Digitalisierung – haben keinen Internetanschluss und 17 % können nicht ausreichend heizen.

Speziell ältere Menschen, die ihr Lebtag lang von ihrem Ersparten lebten und beispielsweise in der Landwirtschaft oder Gastrohnomie gearbeitet hatten, stehen vor dem Problem der Altersarmut.

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Landesarbeitskreis Senioren und Generationen Themenabend „Altersarmut“ am 01.12.2016 im Mehrgenerationenhaus Haßfurt

Die Kommunen können das Rentensystem nicht direkt verändern, aber mit Engagement und Kreativität können sie dazu beitragen, die Folgen von Altersarmut zu lindern, Menschen mit geringen Renten dennoch soziale Teilhabe ermöglichen.

Das war das Fazit eines Themenabends zur Altersarmut, den der Landesarbeitskreis „Senioren und Generationen“ der Freien Wähler im Mehrgenerationenhaus in Haßfurt veranstaltete. Vor interessiertem Publikum, vor allem Mandatsträgern aus vielen Gemeinden des Landkreises, referierten und diskutierten MdL Dr. Hans-Jürgen Fahn und Albrecht G. Walther vom Arbeitskreis, der Bezirksgeschäftsführer des VdK Carsten Vetter sowie die Bürgermeister Reinhard Streng (Langenfeld), Dieter Möhring (Aidhausen) und Gertrud Bühl (Breitbrunn).

Die Freien Wähler haben aktuell einen Dringlichkeitsantrag im Landtag gestellt, der ein weiteres Absenken des Rentenniveaus verhindern soll. Die CSU habe ihn abgelehnt, weil derzeit in Berlin ein neues Rentenkonzept erarbeitet wird. Eine wirkliche Verbesserung erwarten sich davon weder Fahn noch Carsten Vetter vom VdK, der aktuelle Zahlen vorlegte. Der Vertreter des Sozialverbandes warf der Politik vor, in Sachen Renten immer nur die nächste Wahl im Auge zu haben, statt eine wirklich tragfähige, langfristige Strategie zu entwickeln. Doch für einen Systemwechsel „braucht es mutige Entscheidungen“.

Der VdK wolle aber nicht nur jammern, sondern auch zu Lösungen beitragen, so Vetter. Oftmals werde kritisiert, echte Armut gebe es im reichen Deutschland doch gar nicht. „Wir leben nicht in der Sahel-Zone, aber Armut gibt es natürlich“, erläuterte Vetter die Richtwerte, nach denen sich Armutsgefährdung und Armut in Deutschland beziehungsweise Europa errechnen. Die höchste Armutsgefahr haben Arbeitslose, Alleinlebende, Alleinerziehende, Menschen mit niedrigem Bildungsgrad und Ältere – vor allem, wenn sie zusätzlich durch Krankheit oder eine Behinderung belastet sind. Verschärft worden sei die Situation durch die Abschaffung der früheren Sozialhilfe und Einführung von Arbeitslosengeld I und II. „ALG II ist das absolute Existenzminimum mit 750 bis 800 Euro und die Erwerbsminderungsrente liegt mit 777 Euro auch unter dem steuerfreien Existenzminimum“, erklärte Vetter.

Wenn man bedenke, dass ein Bezieher von Mindestlohn 63 Jahre lang arbeiten müsste, um einen Rentenanspruch auch nur leicht über der Grundsicherung zu erwerben, dann könne man sich ausmalen, welche Altersarmut-Welle angesichts steigender Niedriglohn-Jobs auf die Gesellschaft zu rolle. 122.000 Bayern beziehen nach seinen Zahlen heute Grundsicherung „und die Dunkelziffer ist hoch, weil viele den Gang zum Amt scheuen“. Hier stelle sich die Frage, ob man Menschen auch nach langem Erwerbsleben zu Bittstellern macht, oder ohne Antrag eine adäquate Mindestrente anstrebt. Er vermisse eine seriöse Forschung dazu, welchen volkswirtschaftlichen Schaden Armut anrichtet, denn „Armut macht krank“, erklärte der VdK-Geschäftsführer.

Anhand verschiedener Beispiele wie der Seniorengenossenschaft „Dorflinde“ Langenfeld diskutierten die Anwesenden, wie direkt in den Kommunen die Folgen niedriger Renten abgemildert werden können. Durch Dorfgemeinschaftshäuser beispielsweise, in denen Treffen auch ohne teuren Verzehr möglich sind, wo Senioren sogar gemeinsam Mittagessen für sich und andere kochen, wie in der Generationenwerkstatt in Aidhausen. Alternative Wohnformen wie Senioren-Wohngemeinschaften wurden ebenso diskutiert, wie die leider nicht sehr aussichtsreiche Möglichkeit, Wohnbaugenossenschaften auf das flache Land zu bringen. Eine Wohnbauberatung für die barrierefreie Ausgestaltung des Hauses, wie es sie im Landkreis Haßberge schon länger gibt, sei da schon zielführender meinte auch Rauhenebrachs Bürgermeister Matthias Bäuerlein, da in den Gemeinden des Kreises doch die meisten Menschen im eigenen Haus leben, das nicht in jedem Fall zu verkaufen ist, um sich dann in eine alternative Wohnform einzukaufen.

Barrierefreier Wohnraum, werde im Kreis zunehmend geschaffen, stellte Kreisrätin Sabine Weinbeer fest, allerdings handelt es sich fast immer um Eigentumswohnungen, „deren Preise für einen Durchschnittsverdiener unerschwinglich sind“. Hier sei bei den Bauherrenn noch viel Bewusstseinsbildung zu leisten, denn „Barrieren behindern nicht nur im Alter, sondern auch den Kinderwagen, bei Beinbruch oder Bandscheibenproblemen.“ Deshalb sollte dieser Aspekt beim Hausbau immer bedacht werden.

Leider hat Langenfelds Bürgermeister Reinhard Streng, in dessen Gemeinde schon viele Senioren- und Generationenprojekte verwirklicht werden konnten, mit Förderprogrammen schlechte Erfahrungen gemacht. „Leader hat dann kurz vor der Realisierung doch einen Rückzieher gemacht“, erklärte er. Er setzt auf Investoren. Für das nächste Projekt, ein Dienstleistungszentrum, hätten 280 Gesellschafter aus dem Ort und der Umgebung schon 180.000 Euro zusammengebracht.

Hier sieht MdL Fahn einen wichtigen Ansatzpunkt: eine zuverlässige Regelfinanzierung für Mehrgenerationenhäuser wie für alternative Wohnformen und Förderprogramme, in die auch kreative neue Ansätze passen.

Das wünscht sich auch Breitbrunns Bürgermeisterin Gertrud Bühl. „Wir haben einen Bürgerbus, das Generationencafe, den Bürgerdienst mit ganz vielen Ehrenamtlichen, aber finanziell unterstützt wurden wir bisher nur in Form einer Beratung durch ein Fachbüro. Was wir brauchen, wäre die Förderung eines Hauses für die Seniorenbetreuung, eventuell in der Alten Schule von Breitbrunn“. Dem schloss sich auch Bürgermeister Streng an: „Wir brauchen Geld für Steine, nicht für Konzepte. Bei den Förderprogrammen wird immer von der Stadt aus gedacht, wo es schon Einrichtungen mit entsprechenden Räumlichkeiten gibt“.

Dass sich das Engagement in Generationenarbeit „lohnt“, das bestätigte Dieter Möhring. Seit der Dorfladen und die Generationenwerkstatt eröffnet wurden, „haben wir im Ort eine ganz neue Lebensqualität und das strahlt auf die ganze Gemeinde aus“. Der Bürgermeister erzählt, dass viel neues Engagement entstanden ist und auch er geht jetzt das Thema sozialer Wohnungsbau an, weil die Gemeinde in den Genuss des Kommunalen Investitionsprogramms kommt, sonst könnte eine kleine Gemeinde wie Aidhausen das nicht schultern.

Ein zweites Anliegen ist die Mobilität. Leben, vor allem wohnen auf dem Land ist billiger, also für Rentner erschwinglicher als in der Stadt. Dafür gibt es kaum öffentlichen Nahverkehr. „Die Gemeinden müssen sich da kümmern“, ist für Getrud Bühl klar, denn große Linienbusse werden sich im Flächenlandkreis nie rechnen. Denkbar wären allerdings Gemeindebusse, die den nächsten Laden, den Bürgertreff, Arzt, Apotheke ansteuern und als Zubringer zu den Linien fungieren. Dazu braucht es neue Konzepte, auch bei der Linienvergabe. Auf die Frage von MdL Fahn erklärten diejenigen Bürgermeister, die bereits einen solchen Gemeindebus anbieten, dass es bisher nur durch ehrenamtliche Fahrer auch finanzierbar ist, so dass in Breitbrunn beispielsweise die Fahrt einen Euro kostet.